Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

Robert Musil / Fassung von Thomas Birkmeir

Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

Städtische Bühnen Münster 2009 • Bühne/Kostüme: Jacqueline Schienbein • Eingeladen zu WESTWIND, dem 26. Kinder- und Jugendtheatertreffen NRW in Dortmund

Wettkampf der Monster

Jubel und Tränen: Die Premiere des Dramas "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" begeisterte und schockierte das Publikum in Münsters Kleinem Haus.

Regisseur Alexander Schilling und Ausstatterin Jacqueline Schienbein inszenieren das Stück in der aseptischen Turnhalle mit Wasserbecken wie einen strengen Wettkampf oder ein klinisches Experiment. Das Opfer Basini und seine drei Folterknechte Törleß, Reiting und Beineberg tragen alle den gleichen Sportdress und sind kaum zu unterscheiden. Basini ist in diesem Quartett der gesellschaftliche Underdog, er hat Geld gestohlen und wird von den anderen erpresst.

Aber Münsters „Törleß“ ist kein Klassenkampfdrama. Das Böse ist hier völlig willkürlich und banal. Die pubertierenden Teenager verbrämen es mit dummem, pseudophilosophischem Geschwätz, aber es geht nur um die niedrigste Lust an Qual und sexueller Ausbeutung.

Es ist ein kluger Kunstgriff der Regie, die finsterste Rolle mit einer Frau zu besetzen. Carolin M. Wirth spielt „die“ Beineberg als schreckliches Weib, eine esoterische Schwaflerin voller krimineller Energie, dabei sinnlich und verlockend – eine Teufelin. Ilja Harjes gibt ihren Kumpanen Reiting als eiskalten cholerischen Wüterich, Bernhard Glose ist als Törleß ein verklemmtes, arrogantes Träumerlein. Die Ideologin, der SS-Mann, der Mitläufer: Das komplette Horror-Personal der Diktatur ist im Knospen-Stadium zu besichtigen.

„Törleß“ läuft in Münster als Jugendtheater, richtet sich aber eindeutig an emotional gefestigte Zuschauer. Die sollten unbedingt hingehen.

Manuel Jennen, Münstersche Zeitung

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Die Inszenierung von Alexander Schilling führt uns in einen Turnsaal: Ringe, ein Kasten, Seilpferd, Matten, Bänke und ein Wasserbecken. Hier scheint nur Raum für gestählte, durchtrainierte Körper. Für Zwischentöne, Zweifel oder gar Schwächen ist kein Platz.
Die Klänge einer Trompete am Anfang, im fast dunklen Raum, scheinen schon vor Beginn wie ein Klageruf. Danach meist kaltes Licht. Wir sehen vier junge Menschen, die Rolle des Beineberg wird hier interessanterweise von einer Frau gespielt, die auf der Suche nach Sinn   in die menschlichen Abgründe von Gewalt, sexueller Unterdrückung und Allmachtsfantasien tauchen. Dramaturgisch genau und konsequent wird die Spirale aus Gewalt, Erniedrigung und Unterwerfung bis hin zum Lynchmord beschrieben. Die Inszenierung lässt aber auch die Augenblicke, in denen dieser Prozess hätte aufgehalten werden können, spürbar werden. Die Schauspieler überzeugen durch die psychologische Genauigkeit und die körperliche Präsenz ihrer Darstellung. Ihr Spiel, die kluge Regie und Dramaturgie machen aus Musils Roman, in der Bearbeitung von Thomas Birkmeir, eine genaue Studie jugendlicher Gewalt.

Aus der Begründung der Auswahljury für WESTWIND, Kinder und Jugendtheatertreffen NRW 2010

Gewaltexzesse, träumerische Verzückung und akademisches Interesse am Leiden eines Menschen - mit der Schauspielbearbeitung von Robert Musils "Verwirrungen des Zöglings Törleß" gelingt Regisseur Alexander Schilling an den städtischen Bühnen Münster eine in jeder Hinsicht verstörende Inszenierung.

Karsten Peters, Westfälischer Anzeiger

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Musils Jünglings-Konstellation wird in Alexander Schillings Inszenierung plausibel modernisiert. Die Figuren sind in weiße Trainingsanzüge gewandet und treiben Turnsport in einem mit traditionellen Geräten ausgestatteten Sechseck: eine Konzeption, die Altes und Neues witzig verbindet (Bühne und Kostüme: Jaqueline Schienbein). Zudem ist aus dem Knaben Beineberg eine Frauenrolle geworden. Carolin M. Wirth verleiht diesem intelligenten Mädchen-Monster mörderische Lust, wenn sie als Seelen-Verstümmlerin experimentiert - höhere Töchter können fürchterlich sein. Ilja Harjes gibt den militärisch geradlinigen Reiting als Macht anbetendes Scheusal. Törless erhält von Bernhard Glose die Attitüde des nachdenkenden, aber verführbaren Mittäters. Die Parade-Rolle des Basini hat indes Tim Mackenbrock übernommen. Seine sensible Darstellung des Opfers schließt Masochismus ein, weil er den Peinigern mitunter sogar Einverständnis signalisiert. Er lässt das Publikum in die Abgründe von Selbstzerstörung blicken. In solchen Momenten wächst Schillings jugendgerechte Interpretation zur analytischen Tragödie. Jede in den Tod mündende Gruppendynamik hat ineinander greifende Ursachen, denen dann entgegengewirkt werden könnte, wenn Widerstand entstehen würde. So lautet eine der Erkenntnisse, die das Stück unaufdringlich nahe legt denn auch: Es gibt keine unaufhaltsame Zwangsläufigkeit, und niemand muss zum Opfer von Mobbing und Gewalt werden. Die sportliche Inszenierung wurde mit fünfminütigem Applaus belohnt.

Alexander Reuter, Die Glocke

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Die Inszenierung von Alexander Schilling, die auf der gleichnamigen Erzählung von Robert Musil basiert, erlebte das Premierenpublikum am Mittwochabend sehr unmittelbar. Dafür sorgte das intensive Spiel der jungen Schauspieler ebenso wie die raffinierte Bühnengestaltung. Jaqueline Schienbein hat im Kleinen Haus der Städtischen Bühnen Münster das zeitlose Interieur einer Turnhalle aufgebaut. Die Zuschauer sitzen an allen vier Seiten dieser Sportstätte, blicken nicht nur auf die Schauspieler, sondern auch auf die Zuschauer gegenüber. So wird das Publikum in das Geschehen einbezogen, wird gleichsam zu Zeugen der eskalierenden Gewalt.

Und die ist nicht von Pappe: Basini wird gedemütigt, eingesperrt, geschlagen, missbraucht und beinahe ersäuft. Schilling inszeniert diese Gewaltorgie sehr handfest, weshalb das Stück mit der Altersempfehlung „ab 14 Jahren“ versehen ist. Die Inszenierung zeigt aber auch die Entstehungsgeschichte der Gewalt sowie den Gefühlshaushalt der Täter und des Opfers. So wird das emotionale Chaos der Pubertierenden greifbar, das Stück sehenswert.

 

Frank Zimmermann, Westfälische Nachrichten

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Darsteller

Carolin M. Wirth, Berhard Glose, Ilja Harjes, Tim Mackenbrock
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