Juli Zeh
Der Kaktus
Theater Ingolstadt 2010 • Bühne/Kostüme: Valentina Crnkovic
Es beginnt mit rasantem Slapstick und wird nach und nach immer mehr zu einem bitteren Deutschland-Schnappschuss. Und endet schließlich in einer düsteren, hässlichen Zukunftsperspektive. Hausregisseur Alexander Schilling beweist dabei ein sicheres Gespür für die Inszenierung sowohl des spritzig-witzigen Auftakts als auch für den sich langsam, fast unmerklich beginnenden Stimmungsumschwung in der 100-Minuten-Geschichte und insbesondere für die Bühnenumsetzung der überraschenden Schlussaktion.
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Als durchgeknallte Chaotentruppe treten die Polizisten zunächst auf – da setzt Regisseur Alexander Schilling ganz auf blödelnde Slapstick-Komik. Olaf Danner als GSG-9-Mann wird zum lächerlichen Rambo, trotz aller Tollpatschigkeiten bewundert von dem gleichermaßen dämlichen wie devoten Jungpolizisten Cem (Robert Augustin). Ziemlich ratlos stellen sie sich an, als es um die Vernehmung des schweigsamen Festgenommenen geht. Spaßig bleibt es auch noch, wenn Polizeianwärterin Susi (Stefanie Breselow) in die Szene platzt, ganz altkluge Abiturientin und idealistischer Gutmensch.
Mit dem Auftauchen der Polizeioberrätin Dr. Schmid bricht dann der Schreckens-Irrsinn durch. Adelheid Bräu (an wen erinnert ihre blonde Perücke?) ist als hysterische BKA-Frau in ihrem Element. Ganz nach Fantasie zimmert sie sich die Bedrohungslage zusammen: 3000 oder gar 15000 mögliche Todesopfer? Ihre geschickte Demagogie löscht alle Skrupel aus, sie findet willfährige Mitstreiter. Der Kaktus wird mit Stromkabeln traktiert; ein Golfschläger macht ihm endgültig den Garaus. Viel Zeit zum Erschrecken über das eigene Tun bleibt dem Folter-Quartett nicht, denn am Schluss ballert ein neues Polizeikommando rücksichtslos um sich: „Wir sind die Geister, die ihr rieft. Wir sind das 21. Jahrhundert.“ Das mag plattes Agitationstheater sein und ein bisschen an Dario Fo erinnern. Aber es bereitet auch großes Vergnügen, denn die Dialoge stecken voller Witz und Regisseur Schilling hat die vier Darsteller bestens ermuntert, so richtig auf die Pauke zu hauen und die Lust an schriller Karikatur auszuleben.Vollständige Kritik als PDF-Datei herunterladen (483.86 KByte)
Wer hätte diesen Überfall, der mit der Entführung des Verdächtigen endet, ahnen oder gar verhindern können? Nicht die Angst vor einen Anschlag auf unsere Leben will Juli Zeh mit ihrem Stück schüren, sondern die ständige Bedrohung von Moral und Menschlichkeit, die sich aus dieser Angst emporwindet wie eine giftige Schlingpflanze: Freiheit verliert sich scheibchenweise, Angst macht unfrei und tötet die Moral. Dieser Stückbotschaft hat Regisseur Alexander Schilling, der mit viel Spaß und Gespür fürs Timing seine Regiearbeit präsentierte, die der hochgelobten Uraufführung in nichts nachsteht, wenig hinzuzufügen. Das Publikum bejubelt und beklatscht die ausverkaufte Premiere anhaltend.
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